Wenn Nervosität eine Farbe hätte, für Mona wäre sie grün. Aber kein schönes Grün. Nein, eher eines dieser grellen, die dem Auge wehtun. Mona atmete tief durch und legte die Hände auf den Bauch. Immerhin eine Angst hatte sich nicht bewahrheitet: Es ist nicht niemand zur Lesung in Merles kleiner Buchhandlung erschienen. Sie würde nicht allein vor Matthis, Lotta und Merle aus ihrem Buch lesen. Nein, das Stimmenwirrwarr hinter dem Vorhang verriet es ihr: Da draußen waren sogar jede Menge Menschen. Der Vorhang wurde beiseitegeschoben und Merle kam in Eile in die kleine Küche, die sie vor den Besuchern ihres Buchladens verborgen hielt.

„Wir brauchen noch Stühle. Komm, steh mal auf, ich brauch den auch. Himmel, Mädchen, weshalb bist du denn so grün im Gesicht?“

Grün. Da war es wieder.

„Ich bin nur so …“

„Nervosität ist gut. Das schärft die Sinne und weckt den Geist.“ Zwei Stühle unter den Armen verließ Merle den Raum wieder und Mona atmete zittrig aus. Einen Moment später kam die nächste Person herein: Matthis. Ihr Herz schlug gleich etwas schneller, während ihr gleichzeitig eine beruhigende Wärme durch den Körper strömte.

„Hey“, sagte er sanft und legte seine großen, starken Arme um sie. „Ich hab gehört, hier hinten gäbe es ein aufgeregtes Nervenbündel – weißt du, wo ich es finde?“

„Es liegt in deinen Armen“, jammerte sie in sein T-Shirt.

Er lachte leise. „Mona, was kann denn schief gehen, hm? Dein Buch ist auf Platz zwei der SPIEGEL Bestsellerliste – seit vier Wochen! Da draußen sind lauter aufgeregte Frauen, die sich darauf freuen, dich zu sehen.“

Mona löste sich von ihm und begann, um den kleinen Tisch herumzutigern. „Das ist es ja eben! Die erwarten alle diese glamouröse Schriftstellerin. Aber ich – ich bin doch nur ich, Matthis. Ich bin doch nur Mona. Ich habe dieses Buch an einem einzigen Vormittag geplant und“, sie verdrehte die Augen, „gefühlte hundert Mal geschrieben, aber schau mich doch an: Ich bin nur ich.“

„Und gerade das finde ich so faszinierend.“

„Dennis Schenk hat mein Buch in die Tonne geschickt.“

„Wer ist Dennis Schenk?“

Sie verdrehte die Augen. „Nur ungefähr der berühmteste Literaturkritiker Deutschlands“, sagte sie ,als wäre er so berühmt wie der Weihnachtsmann. Aber Matthis konnte weder mit einem Herrn Schenk etwas anfangen noch mit Literaturkritik. Er hatte Monas Buch gelesen und dabei herzlich gelacht, mitgefiebert, ein paar Tränchen vergossen und sich am Ende leicht und beseelt gefühlt. Das war das einzige, das für ihn zählte. „Also, ich kenne diesen Herrn Schenk nicht. Ich weiß nur, dass da draußen etwa sechzig Frauen darauf warten, dass du vorliest – und viele von denen haben dein Buch auf dem Schoß liegen und sich schick gemacht für deine Lesung.“

Mona riss die Augen auf und sah an sich hinunter. Sie trug ein geringeltes T-Shirt und eine Latzhose. „Wie sehe ich nur aus? So kann ich doch nicht vor diese Leute treten!“, hisste sie leise.

Matthis schritt ein, bevor sie sich noch in Rage redete. Er legte ihr die Hände an die Oberarme und sah ihr tief in die Augen. „So wie du bist, bist du genau richtig. Denn nur du konntest dieses Buch schreiben – so wie es die Leute lieben. Also zeig denen, wer dieses Buch geschrieben hat und sei verdammt nochmal stolz darauf, wer du bist und was du geschafft hast. Und jetzt raus mit dir.“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein! Ich kann das nicht! Du hast keine Ahnung, was schon alles bei meinen Lesungen schief gegangen ist – ständig passieren mir irgendwelche Pannen! Der Verlag schickt mich schon gar nicht mehr irgendwohin, weil sie wissen, was passiert. Die wundern sich eh schon, was ich heute hier mache.“

„Heute überwindest du deine Angst und schlägst ein ganz neues Kapitel auf. Ab heute wirst du Lesungen lieben. Du kannst deinen Verlag schon mal anrufen und ihnen sagen, dass sie dir wieder Lesungen buchen können.“

Skeptisch sah sie ihn an. „Also so viel Optimismus kann ich nun wirklich nicht aufbringen.“

„Dann versprich mir, dass du sie anrufst, wenn es gut gelaufen ist.“

Mona zuckte mit den Schultern. „Von mir aus.“

„Gut. Und jetzt: Du schaffst das! Ich bin bei dir. Merle auch. Es kann gar nichts schief gehen. Und ja, die Blumen, die dir Merle am Ende der Veranstaltung gibt, sind ein Geschenk für dich und du darfst sie behalten.“

„Du machst dich über mich und die Dinge, die mir bei Lesungen passiert sind, lustig.“

„Dingen, die einem schief gehen, wird man am besten mit Humor Herr.“

„Aus welchem Kalender hast du bitte diesen Spruch?“

„Da ist sie ja – meine zynische Mona mit den kampflustigen Augen. Du bist bereit für deine Zuhörer.“ Damit packte er sie an den Hüften und trug sie zum Vorhang. Mona flüsterte wütend, dass er sie sofort runterlassen sollte, dass er sein blaues Wunder erleben würde und auch ein paar Beschimpfungen waren dabei. Sie versuchte sogar, sich mit den Füßen am Türrahmen abzustemmen, doch irgendwie gelang es Matthis, den Vorhang aufzuschieben und so den Blick freizugeben auf die widerspenstige Autorin, die mit allen Mitteln dagegen ankämpfte, eine Lesung aus ihrem aktuellen Bestseller zu halten.

Erstaunte Blicke von den Zuschauern. Mona gab den Kampf umgehend auf, strich sich die Latzhose glatt und setzte ein Lächeln auf. Matthis schob sie noch ein Stück weiter in den Raum und setzte sich dann auf ein niedriges Regal an der Seite, während sich Merle auf die kleine improvisierte Bühne stellte und Mona ankündigte:

„Sie hat eine kurze Anreise gehabt, denn seit ein paar Monaten lebt sie bei uns auf der Insel. Bitte begrüßen Sie die Bestseller-Autorin Mona Braun!“

Ein Applaus brannte auf, sogar einzelne Jubelrufe, wobei sich Mona sicher war, dass das Kai, Daniel und Keno waren. Bis auf Björn, der mal wieder beruflich im Ausland war, hatten es die anderen eingerichtet, bei ihrer Lesung dabei zu sein. Mona deutete eine kleine Verbeugung an und kämpfte gegen die Übelkeit, die in ihr aufstieg.

Merle deutete auf den kleinen grünen Sessel. Grün. Es verfolgte sie. Mit zitternden Knien und ohne Luft in der Lunge setzte sich Mona und übergab ihr Schicksal in Merles Hände. Sie vertraute der Buchhändlerin. Sie würde es schon richten. Alles, was ab jetzt passierte, war nicht mehr Monas Entscheidung. Sie war nun Merles Marionette. Aber Mona wusste: Merle würde es gut mit ihr meinen. Immerhin war sie fast ihre Schwiegermutter.

„Liebe Mona, bevor du aus deinem Buch liest, möchte ich mich erst ein wenig mit dir unterhalten. Immerhin bist du ja vor kurzem vom Festland auf die Insel gezogen. Was hat dich denn hierhergeführt?“

Mona schluckte. „Die Liebe.“

„Oooooooh“, seufzte das Publikum und Mona sah schüchtern auf. Nur lächelnde Gesichter blickten ihr entgegen. „Naja“, sprach sie weiter. „Ich komme ja auch ursprünglich von hier. Als meine Wohnung dann beinahe einem Feuer zum Opfer fiel, bin ich zurückgekommen, um dieses Buch zu beenden.“ Sie zeigte auf das Buch in Merles Händen. „Und dieser attraktive Mann da drüben hat mich bei sich aufgenommen.“

Sie zeigte auf Matthis und das Publikum seufzte theatralisch. „Also damit das klar ist: Der Kerl ist jetzt vergeben. Aber er hat noch ein paar attraktive Brüder und Freunde, die zur Verfügung stehen.“ Gelächter in den Reihen.

Mona atmete auf. Ihre Lunge schien wieder zu funktionieren. Sie hatte genug Luft, um nicht in Ohnmacht zu fallen.

„Mir ist aufgefallen, dass der männliche Protagonist in deinem Buch einige Ähnlichkeiten mit eben diesem jungen Mann hier aufweist – ist das Zufall oder Absicht?“

Mona lächelte ertappt und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Für das Publikum schien das Antwort genug zu sein, denn es lachte schon wieder.

„Nun ja, eine gewisse … ich nenne es mal Inspiration hat es tatsächlich gegeben.“

„Gibt es eine Lieblingsszene mit dem Protagonisten?“

„Oh, allerdings! Darf ich?“ Mona griff nach dem Buch und suchte die Stelle. „Ah, hier. Und ja: So oder so ähnlich ist das damals zwischen uns passiert.“

 

Die Lesung dauerte eine ganze Stunde und am Ende saß Mona eine weitere Stunde, um Bücher zu signieren und Fotos mit ihren Leserinnen zu machen. Als alle Gäste glücklich und gegangen waren, schloss Merle den Laden ab und Mona gönnte sich eine Flasche kalter Cola. Die Jungs waren geblieben und stießen mit Hiddenseer an. Mona setzte sich zu ihnen und legte die Beine hoch.

„Hey, Mönchen, ich wusste gar nicht, dass du witzig sein kannst“, sagte Daniel und schlug ihr auf den Oberschenkel.

„Aua! Tja, ich habe viele Talente, von denen ihr nichts wisst.“

„Die Matthis aber zurzeit kennenlernt, was?“, meinte Kai und grinste.

Mona spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. „Solche Talente meinte ich nicht.“

Merle setzte sich zu ihr und legte den Arm um sie. „Das hast du toll gemacht, min Deern! Ich bin stolz auf dich.“

„Ohne dich und Matthis hätte ich das nie geschafft.“

„Ohne uns hättest du es nie gewagt. Aber die Menschen so zu begeistern – das warst du ganz allein.“

„Genau“, stimmte Matthis zu. „Deshalb wird Mona ihrem Verlag Bescheid geben, dass sie sie sehr gerne öfter zu Lesungen schicken können.“

„Nein“, jammerte Mona.

„Doch“, sagten alle anderen wie aus einem Mund.

Kai leerte die Flasche und klopfte auf das Holz des Bücherregals. „Familie, ich bin raus für heute. Wir sehen uns beim Rommé.“

„Bis Samstag.“

”Tschö!“

„Ich schließe mich an“, sagte Daniel. „Soll ich dich mitnehmen, Keno?“

„Gerne. Ich werde daheim schließlich erwartet.“

„Dieser glücklich verliebte Angeber.“ Daniel wuschelte seinem Kumpel durchs Haar.

„Wir helfen dir noch aufräumen, Mama.“

„Was wollt ihr denn noch aufräumen? Die Stühle sind fort, die Bühne brauche ich morgen noch für die Kinderlesung. Das einzige, was noch weg muss, sind Monas Bücher.“

„Na gut, dann gehen wir jetzt auch.“

„Würdet ihr die Ladentür abschließen und mir den Schlüssel in den Briefkasten werfen? Dann geh ich schon mal hoch.“

„Klar, Mama.“ Merle übergab ihm den Schlüssel und Matthis holte den Karton mit den restlichen Büchern, die an diesem Abend nicht verkauft wurden.

Er fand Mona bei der Auslage, die allein Monas Buch gewidmet war. Ein großer Pappaufsteller pries das Buch an, darauf prangte ein Bestseller-Sticker. Liebevoll strich sie über die ausgelegten Bücher.

„Na“, sagte Matthis und stellte den Karton ab.

„Na.“

Er nahm sie von hinten in den Arm und sie lehnte ihren Hinterkopf an seine Schulter. „Was denkst du?“

Mona seufzte. „Ich denke, dass es einfach nur verrückt ist, was gerade passiert.“

„Verrückt? Warum verrückt?“

„Hiervon habe ich immer geträumt. Ich schreibe schon so lange und lebe auch davon. Ganz okay. Aber was gerade passiert, das übersteigt einfach alles, was ich je gehofft habe zu erreichen und zu sein. Es ist so …“ Sie suchte nach dem passenden Wort. „Schön.“

Matthis lachte. „Von allen Begriffen auf dieser Welt – überragend, phänomenal, fulminant – aber dir fällt nur schön ein.“

Mona schüttelte den Kopf. „Manches ist zu schön, als dass es dafür ein anderes Wort braucht. Das mit uns zum Beispiel – mit dir und Lotte. Das ist schön.“

„Nicht atemberaubend? Megagut oder cool?“

Sie schmunzelte. „Nein. Einfach nur schön. Und es ist schön, dass ich all das hier mit euch erleben kann. Alleine hätte es nur halb so viel Spaß gemacht.“

„Alleine macht vieles nur halb so viel Spaß. Wippen, um nur ein Beispiel zu nennen.“

„Küssen.“

„Ein sehr schönes weiteres Beispiel.“

„Halt jetzt den Mund und küss mich.“

„Nur wenn ich wieder die Hauptfigur in deinem nächsten Roman sein darf.“

„Du wirst die Hauptfigur in all meinen zukünftigen Romanen sein.“

Matthis runzelte die Stirn. „Klingt, als wäre das hier ein Wendepunkt deiner Karriere – aber nach unten. Wer will schon immer wieder über denselben Kerl lesen.“

„Das stimmt. Wie gut, dass stille Wasser tief sind.“

Matthis nickte. „Das stimmt auch wieder.“

Mona reckte den Hals und legte ihre Lippen sanft auf seine. Zärtlich strich er mit dem Daumen über ihre Wange und zog sie mit der anderen Hand fest an sich. Mona fühlte sich angekommen. Sie war endlich zuhause. Und das Leben war schön.

Hast du mitbekommen, wie sehr sich Keno auf zuhause freut? Das liegt natürlich an der Frau, die ihn dort erwartet. Aber es ist nicht Melanie … Denn das Bonuskapitel spielt nach den Geschehnissen in »Stürmische Küstenküsse«. Wenn du dabei sein möchtest, wie sich Keno Hals über Kopf in seine beste Freundin verliebt, kannst du den nächsten Band schon mal vorbestellen