Weihnachten in Hamburg
„Fünf Paar Socken, drei Pullover, zwei Strumpfhosen … Ich glaube, ich hab alles.“
„Ganz ruhig, Schatz. Wir übernachten doch eh in deiner Wohnung. Du hast bis morgen früh Zeit, an alles zu denken.“ Mattheo nimmt meine Hand, führt sie an seinen Mund und küsst meine Finger. Ein kribbeliger Schauer läuft mir über den Rücken. Entspannt lehne ich mich in seinem Wagen zurück.
„Du hast recht.“
„Hat Zoe sich gemeldet?“
„O ja! Sie hat geschrieben, dass sie sich mit ihrer Mutter gefetzt hat und bereut, abgereist zu sein. Nächstes Jahr will sie mit uns feiern.“
Mattheo grinst.
„Warum grinst du so?“
„Weil sie davon ausgeht, dass wir in einem Jahr noch zusammen sind.“
„Oh, das tut sie gar nicht. Sie hat geschrieben, dass sie mit mir Weihnachten verbringen will. Aber da ich vorhabe, nächstes Jahr noch mit dir zusammen zu sein, habe ich uns gesagt.“
Sein Lächeln wird noch breiter. „Aha, hast du das?“
„Ja. Hast du ein Problem damit?“
„Na ja. Nur mit den paar Stunden Fahrzeit, die uns trennen, weil ich in Rerik lebe und du in Hamburg …“
„Das lässt sich ändern.“
„Ach ja?“
„Ja.“
„Muss ich kündigen und zurück nach Hamburg ziehen?“
„Mach dich nicht lächerlich. Die Feuerwehr in Rerik braucht dich. Was man von mir in der Redaktion nicht behaupten kann. Dort lösche ich zwar auch Brände, aber anderer Art.“
„Du willst kündigen?“
Ich zucke mit den Schultern. „Wahrscheinlich. Ich glaube, nächstes Jahr wird sich so einiges in meinem Leben ändern.“
Wir parken vor einem alten Backsteingebäude.
„Mein Vater wohnt im sechsten Stock, ganz oben. Die Aussicht von dort ist gigantisch, du wirst es lieben.“
Wir fahren mit dem Aufzug hinauf und ein älterer Herr mit Cordhose und Puschen an den Füßen öffnet uns. Dieser Mann gefällt mir.
„Matthi! Na endlich!“ Die beiden Männer nehmen sich fest in den Arm. „Wir haben dich gestern schmerzlich vermisst, Junge.“
„Jetzt bin ich ja da. Papa, das ist Lena. Lena, mein Vater.“
„Du kannst mich Klaus nennen.“
„Hallo Klaus. Vielen Dank, dass ich mit euch feiern darf.“
„Aber selbstverständlich. Kommt rein.“ Klaus schließt die Tür hinter uns und Mattheo und ich streifen uns die Schuhe von den Füßen. Ich ziehe meine gemütlichen Puschen aus der Tasche, was Klaus lächelnd beobachtet.
„Matthi hat gesagt, du bist kein Fan von Weihnachten. Ich schätze, dann bist du bei uns genau richtig.“
„Weil ihr große Fans seid?“
„Nein“, sagt Mattheo. „Weil wir unkonventionell feiern. Es wird dir gefallen.“
Er hebt den Arm und bedeutet mir, seinem Vater zu folgen. Wir durchqueren einen breiten Flur. Mattheos Vater wohnt in einer dieser schicken Altbauwohnungen in der Hamburger Innenstadt. Der Boden ist aus Holz und knarzt gemütlich unter unseren Schritten. Die Decken sind hoch und mit Stuck verziert. Im Esszimmer sitzen drei junge Männer um einen Tisch und sehen mich gespannt an.
„Alter, na endlich!“
„Können wir jetzt essen, Papa?“
„Jetzt stellt ihr euch erst mal anständig vor, Jungs.“
Ein großer Mann mit dunklen Locken und blauen Augen steht auf und streckt mir die Hand entgegen. „Ich bin Jonas.“
„Hallo. Ich bin Lena.“
Der Nächste hat ebenso dunkles Haar, aber es ist so glatt wie Mattheos. Seine Nase sieht aus wie gemeißelt und seine grünen Augen blicken mich so intensiv an, dass es fast unangenehm ist. „Nick.“
„Hi.“
„Und ich bin Felix.“ Der Dritte hat blonde, wellige Haare und genauso blaue Augen wie sein Bruder. Allein wegen seiner forschen Art weiß ich, dass er der Jüngste der Brüder sein muss.
„Alles klar“, sagt Klaus hinter mir. „Macht Platz, hier kommt die Pizza.“
Ich mache große Augen. „Pizza? An Weihnachten?“
„Ich sagte doch: Wir feiern eher unkonventionell.“
„Allerdings. Kannst du Pantomime?“ Jonas sieht mich ernst an.
„Pantomime?“
„Kann sie singen?“ Felix kneift interessiert die Augen zusammen.
„Was zum Henker habt ihr vor?“
„Du hast ihr nichts gesagt?“ Klaus sieht Mattheo vorwurfsvoll an.
„Nein.“
„Warum grinst du so?“, frage ich. Unglaublich! Er hat sichtlich Spaß dabei, mich so durcheinander zu sehen.
Nick beugt sich vor: „Das wird ein Spieleabend, den du nicht vergisst, Süße.“ Er beißt von einem riesigen Stück Pizza ab und kaut.
Ich blicke von einem zum anderen. Alle verspeisen grinsend die Pizza.
„Fein. Pantomime ist mein Spezialgebiet.“ Ich nehme mir ein Stück. „Und im Karaoke bekomme ich jedes Mal die volle Punktzahl.“
„Verdammt.“ Felix wirft theatralisch sein Stück Pizza auf den Teller.
„Wir werden euch so fertigmachen!“, ruft Mattheo aus und der Rest des Tisches grummelt beleidigt.
„Gut, genug Geplänkel, hier kommt das Spiel.“ Klaus setzt eine große Spieleschachtel auf den Tisch.
„Meine Herren, zieht euch warm an.“ Mattheo knackt mit den Fingerknöcheln.
„Ihr habt trotzdem keine Chance“, behauptet Nick.
„Glaubst du!“, sage ich herausfordernd und halte seinem Blick stand.
„Fein. Dann lasst sie beginnen – die Spiele.“
Mattheo lächelt mich an, beugt sich vor und küsst mich sanft.
„Iiiih, lasst das!“, ruft Felix. „Hier sind Singles am Tisch!“
„Dann such dir eine Freundin.“
„Steht für nächstes Jahr auf der Liste.“
„Zieh erst mal die Kategorie, Casanova.“
Felix greift in die Schachtel. „Karaoke!“
„Yes!“, ruft Mattheo siegessicher aus. „Lena und ich sind ein Team.“
Ich nicke. „Ja. Das sind wir.“ Heimlich lege ich meine Hand unter dem Tisch auf seinen Oberschenkel und er seine Hand auf meine.
Ich hab so das Gefühl, als würde Weihnachten ab sofort mein liebstes Fest im Jahr.
